Als Mitglied des Initiativkomitees erlebte der Zuger FDP-Alt-Ständerat die Wiedergutmachungsinitiative aus nächster Nähe.
Sie haben sich energisch für die Wiedergutmachungsinitiative stark gemacht. Wie kamen Sie als Freisinniger zu dieser Rolle? Was den Verdingkindern widerfahren ist, hat ihre Freiheit, ihre Würde und ihre körperliche Unversehrtheit verletzt. Als Liberaler konnte ich mich deshalb voll und ganz hinter die Wiedergutmachungsinitiative stellen. Als ich nach meinem ersten Gespräch mit Guido Fluri seine Büroräumlichkeiten verliess, hatte ich keine Zweifel mehr. Zugesagt habe ich aus tiefster innerer Überzeugung, denn hier ging es um ein ethisches und moralisches Anliegen.
Inwiefern erlebten Sie Widerstand aus der eigenen Partei? Im Anschluss an das Treffen mit Guido Fluri habe ich umgehend Gabi Huber, die damalige Fraktionschefin, den Präsidenten Philipp Müller und Generalsekretär Stefan Brupbacher über meinen Entscheid informiert. Gabi Huber antwortete, sie sei zwar inhaltlich mit den geforderten Solidaritätszahlungen nicht einverstanden, aber sie habe grossen Respekt vor dem, was ich tue. Diese positive Reaktion bestätigte mich in meinem Vorhaben. Dass wir schliesslich alle FDP-Parlamentarier, ausser einen, für den Gegenvorschlag gewinnen konnten, ist ein schöner Erfolg für den Freisinn. Die Partei hat ein starkes Zeichen für die Opfer gesetzt. Dies hat mich sehr gefreut.
Was unterscheidet die Wiedergutmachungsinitiative von anderen Initiativen, die Sie erlebt haben? Politisch ist diese Initiative einer der Höhepunkte meiner Politkarriere. Ich bezeichnete die Annahme des Gegenvorschlags in einer Rede als historischen Moment. Diese Worte nehme ich fast nie in den Mund. Ein Unterschied zu anderen Initiativen war, dass es um mehr als ein politisches Anliegen ging. Es ging um einen Auftrag an unsere Generation, etwas wiedergutzumachen, das vor unserer Zeit geschah und nachweislich nicht hätte passieren dürfen. Ausserordentlich war auch das Tempo, in dem die Initiative vorangetrieben wurde und in dem der Gegenvorschlag durch das Parlament ging. Die Wiedergutmachungsinitiative ist eine Sternstunde der Schweizer Politik. Wobei ich auch Bundesrätin Simonetta Sommaruga und Luzius Mader, den stellvertretenden Direktor des Bundesamts für Justiz, erwähnen möchte, die beide hervorragende Arbeit geleistet haben.
Sie hatten viel Kontakt mit den Betroffenen selbst. Wie erlebten Sie diese Momente? Ja, zum Beispiel in Mümliswil in der Gedenkstätte. Das waren beeindruckende und erinnerungswürdige Begegnungen. Nicht vergessen werde ich auch die leuchtenden Augen der Opfer nach der Schlussabstimmung im Parlament. Das ging tief.
Wie ist es als Parlamentarier, wenn jemand von aussen in die Politik eingreift, unter anderem mit finanziellen Mitteln? Es ist kein Geheimnis, dass es finanzielle Unterstützung braucht, um ein Anliegen durchzubringen. Darin sehe ich kein Problem. Suspekt wird es dann, wenn jemand für sich selbst einen Vorteil bewirken will. Wenn er sich mit einem politischen Entscheid zu bereichern versucht. Das wollte Guido Fluri nie, im Gegenteil: Was Guido gemacht hat, war wohltätig und einmalig. Ich finde es sehr positiv, wenn jemand, der wohlhabend ist, sein Geld für soziale und gemeinnützige Zwecke einsetzt oder wie in diesem Fall ein wichtiges Anliegen in die Politik getragen wird.
Man kann heute nicht nachvollziehen, wie es zu diesen Missständen kommen konnte. Gibt es auch heute Dinge, die wir nicht sehen? Das ist nicht ausgeschlossen. Aber wir sind heute mehr sensibilisiert und aufmerksamer. Die Medien als vierte Macht decken zudem sehr viel auf. Guido Fluri hat den Verdingkindern eine Stimme verliehen.
Welche Gruppierungen haben heute eine zu wenig starke Stimme? Das sind sicher die allseits bekannten Minderheiten, die aufgrund ihrer Bildung oder ihrer sozialen Situation zu wenig Kraft haben sich zu wehren. Viele ältere Menschen, die nur mit der AHV auskommen müssen, haben mich angerufen und mir gesagt «schaut mehr zu uns» – das empfand ich als Warnruf.
Wie können wir bewirken, dass wir den Anliegen der heutigen Gesellschaft die nötige Aufmerksamkeit schenken? Wir müssen die berechtigten Anliegen aller Gruppierungen ernst nehmen. Wir müssen viel mehr hinsehen und nicht wegschauen.